Nötiger gesundheitspolitischer Kompass
Mai. 2013Gesundheitspolitik
Forum Michael Jordi. Wer in einem Geflecht von Wegen und Strassen steht, kann sich rasch einmal verlaufen oder in einer Sackgasse enden. Da verfügt man doch besser über eine Karte und einen Kompass oder – mit moderner Technik ausgerüstet – über ein GPS oder ein Navi. Das ist im dichten Netz der schweizerischen Gesundheitspolitik nicht anders. Auch hier braucht es klare Zielsetzungen und Wegbeschreibungen, die dorthin führen, sonst kann man leicht die Orientierung verlieren. Die Strategie des Bundesrates, «Gesundheit2020», lässt sich durchaus als Navigationsgerät gebrauchen, obschon nur die Hauptstrassen eingezeichnet sind.
Vorab ist diese Agenda gut lesbar, angenehm kurz und bei den meisten Zielen auch erfrischend konkret. Den Zielsetzungen ist zuzustimmen. So ist eine der Hauptaufgaben der Gesundheitspolitik, den Fokus auf die Behandlung von chronischen Krankheiten zu legen. Diese betreffen einen immer grösseren Anteil der Bevölkerung, beeinträchtigen deren Lebensqualität stark und sind zudem auch kostenintensiv. Es ist also richtig, gerade auch in diesem Bereich die Versorgungsstrukturen entsprechend anzupassen und die verschiedenen Beteiligten in der Kette von Vorbeugung und Prävention über die Diagnostik bis hin zur Behandlung und Betreuung besser zusammenzuführen. Diese Kette besteht aus Menschen, welche sich der Patienten annehmen und dafür gut ausgebildet sind. Der Bericht ortet hier richtigerweise eines der Hauptprobleme. Qualitätsverbesserungen in unserem Gesundheitssystem können sicher erreicht werden mit besser abgestimmten Arbeitsprozessen, der klareren Dokumentation der Leistungen, der schnelleren und genaueren Informationsübermittlung mit eHealth-Instrumenten. Die beste Strategie ist aber von Anfang zum Scheitern verurteilt, wenn die nötigen gut ausgebildeten Fachkräfte fehlen, die sie umsetzen.
Auch die weiteren Prioritäten sind mit Bedacht gesetzt. Verbesserungspotenzial gibt es selbst auf dem hohen Niveau des Gesundheitswesens der Schweiz noch mancherorts: mit besserer Kostentransparenz, einer austarierteren Finanzierungsgerechtigkeit, mit aktuellen und richtige Anreize setzenden Tarifsystemen oder einer gezielteren Koordination der Gesundheitsförderung und Prävention. Der Bund ist in all diesen Bereichen im Rahmen seiner Kompetenzen in der Pflicht. Die «Gesundheit2020» sucht aber zu Recht auch den Schulterschluss mit den Kantonen. Diese Abstimmung der öffentlichen Regulatoren muss in Zukunft noch stärker zum Tragen kommen, wenn all die aufgeführten Zielsetzungen erreicht werden sollen. Es gibt im Gesundheitswesen aufgrund der verfassungsmässigen Aufgaben und Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung, der Finanzierung über Steuern und Sozialversicherung und der steigenden Komplexität der Gesundheitsversorgung einen ausgewiesenen Bedarf an zielgerichteter Steuerung durch die «sichtbare Hand». Die öffentliche Hand braucht aber die Unterstützung und Initiative der weiteren Akteure, Leistungserbringer und Versicherer, ohne deren Hilfe alle hehren Ziele auf halbem Wege stecken bleiben. Aber auch der Support der Bevölkerung ist gefragt, ob nun als Versicherte oder Steuerzahlende, als Patientinnen und Patienten oder als Angehörige. Denn nur wenn dieses Gesamtsystem solidarisch getragen wird, kann es auch weiterentwickelt und verbessert werden.
Am Schluss der Reise, also im Jahr 2020, werden wir dann vielleicht feststellen, dass wir noch nicht ganz am Ziel angelangt, an einigen Orten durch Baustellen und Umwege gebremst oder in einen Stau geraten sind. Das passiert mit den besten Navis – und erst recht mit Politikstrategien.
Michael Jordi,
Zentralsekretär der Gesundheitsdirektorenkonferenz*
*Die GDK hat die Strategie «Gesundheit2020» mit grossem Interesse aufgenommen, konnte die einzelnen Vorschläge aber noch nicht in den Gremien diskutieren. Der Artikel gibt folglich die persönliche Haltung des Autors wieder.